Frauen sind Verräterinnen oder Opfer, meist beides. Zumindest für Historiker und Dichter: Die Aztekin Malinche alias Dona Marina, eine Sklavin oder Hure, verriet als Dolmetscherin des Hernando Cortez ihr Volk an die spanischen Eroberer. Bis heute ist sie in ganz Mexiko eine gehasste Unheilsperson; einige Gruppen aber verehren sie als Schmerzensmutter.Verwünschungen nicht nur der Troianer, sondern auch ihrer griechischen Landsleute erntete Helena, deren von ihr selbst forcierte Entführung durch den troianischen Prinzen Paris den Kampf um Troia auslöste.
Überhaupt wimmelt es in Homers Epos von Opfern und Verräterinnen: Die junge Iphigenie sollte auf einem Altar geschlachtet werden, damit zürnende Götter endlich die Überfahrt der Griechen nach Troia gestatteten. Ihre Mutter Klytämnestra schlachtete dafür den heimkehrenden Vater und vermeintlichen Kindsmörder Agamemnon ab, den sie zuvor heimtückisch sanft begrüßt hatte. Bei dieser Metzelei musste auch Kassandra sterben, die troianische Königstochter, Priesterin und Seherin, die umsonst vor der List der Griechen gewarnt hatte und nach dem Fall Troias geschändet und dem Agamemnon als Konkubine übergeben worden war.
Ein Opfer war auch Briseis, die Hintergrundsfigur jenes "Zorns des Achilleus", den in unserer gestrigen Ausgabe Manfred Lossau als Zentralmotiv Homers erläutert hat. Flüchtig betrachtet, ist dieses junge Mädchen eine Tatenlose wie Iphigenie, die unschuldig grausige Taten der Männer auslöst: Von Achilleus nach der Eroberung der Stadt Lyrnessos, bei der ihr Mann, König Mynes, und ihre drei Brüder fielen, als Sklavin mitgeschleppt, wurde sie dem Agamemnon zugesprochen, was wiederum zur Kriegsverweigerung des Achilleus und damit um ein Haar zu Niederlage und Untergang des Griechenheeres führte.Doch Briseis war nur vordergründig passiv: Denn sie verweigerte sich Agamemnon und liebte Achilleus wie er sie. Der Held, so verkündete sie stolz, plante, sie zur Frau zu nehmen. Unberührt kehrte sie vom Heerführer zu ihrem Geliebten zurück, der dann aber den Heldentod starb.
Die Liebe der Briseis feierte der römische Dichter Ovid in seinen "Heroides", fiktiven Liebesbriefen mythischer Heldinnen. War sie eine Heldin? Nie Witwe? Was war mit Mynes, ihrem Gatten? Hatte sie dessen Tod so schnell verwunden wie Helena die Trennung von ihrem Mann Menelaos? Wäre sie, wie diese zu Menelaos, mir nichts, dir nichts zu Mynes zurückgekehrt, wenn er durch einen Zufall überlebt hätte?
Nur eines ist sicher: dass die Epen und Legenden uns meist Frauen überliefern, die zwischen Opfer- und Verrätertum ihren Weg suchen mussten. Und das ist heute ja ganz anders. Vermutlich.
DIETER BARTETZKO
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.3.2008, Nr 62, S 42
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