Montag, 2. Juli 2007

"Gott ist mit den Geduldigen"

Ein Reisebericht über Afghanistan
Afghanistan kommt in Asien durch seine Lage schon immer eine strategische Bedeutung zu – es grenzt im Westen an Iran, im Norden an Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan, im Osten und Süden an Pakistan, am Ost-Ende des Wakhanzipfels an China.
Der zentrale Hindokusch, bis über 2000 m üM, teilt Afghanistan in eine Nord- und eine Südregion. Insgesamt herrscht ein kontinental geprägtes Klima mit großen Temperaturunterschieden (Sommer bis 400, im Winter bis -250), Steppe und Wüstensteppe überwiegen, wobei es im Norden und Osten auch Wälder und Seen gibt, die teilweise an die österreichische Alpenregion erinnern, wie mir ein junger in Kirgisistan lebender Deutscher versicherte, der Afghanistan wie seine Westentasche kennt.
Ähnlich, die Aussage eines US-Soldaten, der als Paramedic im Hubschrauber durch ganz Afghanistan herumgekommen ist, er schwärmte richtig von den Flüssen mit den großen Forellen im Norden.
Leider überwiegt der Steppen- und Wüstencharakter und das Land wird jetzt durch schon eine 10 Jahre währende Trockenperiode heimgesucht, wie ich beim Besuch eines Dorfes zu hören bekam. Teilweise müssen die Bewohner stundenlang gehen, um Wasser zu holen.
Afghanistan wird traditionell von verschiedenen Stämmen besiedelt, was die Probleme des Landes teilweise mit begründet. Größte und bedeutendste Volksgruppe mit etwa 44% sind die Paschtunen, besonders im Süden und Südosten an der Grenze zu Pakistan. Die Tadschiken (~ 28%) leben besonders im Norden und Nordosten des Landes, mongolischstämmige Hazara (rd. 7%) überwiegen im Hindukusch. Daneben gibt es noch Usbeken (~ 9%), Turkmenen, Aimah, Nuristani, Belutschen, Kirgisen u. a.
1973 wurde die konstitutionelle Monarchie durch einen Militärputsch gestürzt und eine Republik ausgerufen, deren Politik sich streng an der UdSSR orientierte und einen landesweiten Widerstand nach sich zog (u. a. wurde die Farbe des Propheten (= grün) in der Nationalflagge durch Rot ersetzt).
1979 marschierte die UdSSR in Afghanistan ein und versuchte in verlustreichen Kämpfen die Guerillabewegung der Mudschaheddin zu unterdrücken. Von Mai 1988 bis Februar 1989 zog die UdSSR ihre Truppen dann vollständig ab (Bilanz des Krieges: 14000 gefallene sowjetische Soldaten, ~ 1 Million Tote, 5 Millionen Flüchtlinge).
Bis zum Frühjahr 1992 brachten die Mudschaheddin den größten Teil von Afghanistan militärisch unter ihre Kontrolle. Die Rivalität von Mudschaheddin - Parteien führte dann zu Kämpfen, die zu einer weitgehenden Zerstörung von Kabul führten.
Die Milizen der seit 1994 von Pakistan aus in den Bürgerkrieg eingreifenden radikal-islamischen Taliban eroberten in wenigen Jahren den Großteil des Landes und errichteten in ihrem Herrschaftsgebiet eine repressive Religionsdiktatur. Ihr Führer, Mullah Mohammed Omer rief am 27.09.96 einen islamischen Staat aus.
Bei ihrem Vormarsch nach Norden stießen die Taliban auf die aus verschiedenen nationalen Minderheiten gebildete Nordallianz von Mudschaheddin-Gruppen unter dem militärischen Oberkommando von Ahmad Schah Massud, der im Sept. 2001 ermordet wurde und heute wie ein Held verehrt wird. In Kabul hängen an jeder Ecke überlebensgroße Bilder von Massud und auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt trifft man auf ein großes Erinnerungsmonument.

Nach dem Terrorangriff vom 11.09.2001 begannen die USA am 07.10.2001 unter direkter britischer Beteiligung eine Militäraktion gegen das Talibanregime mit bekanntem Ausgang.
Mittlerweile ist eine gewählte Regierung unter dem Präsidenten Hamid Karsai im Amt.

Alle waren besorgt, als ich erzählte, zu einer humanitären Aktion nach Afghanistan gehen zu wollen. Manche meinten wohl auch, ich sei ziemlich verrückt – aber das geht afghanischen Landsleuten, die in ihre Heimat zurückkehren, auch nicht anders, wie ich in einem Gespräch mit dem Fußballpräsidenten von Afghanistan, Herrn Hafizullah Wali Rahimi, der 12 Jahre in Kanada gelebt hat, erfahren habe.

Als ich vor einiger Zeit Herrn Dr. Gerd Niebaum fragte, ob der BVB eine Patenschaft für Waisenkinder in Kabul übernehmen könnte, sagte er mir spontan zu. Am Tag der Mitgliederversammlung hat mir dann Reinhard Beck (http://www.schwarzgelb.de/) zwei große Kartons (mit BVB-Klebebändern) mit Trikots, Bällen und Schuhen für zwei Fußballmannschaften übergeben. Freitags drauf ging es dann los. Beim Sicherheitscheck am Frankfurter Flughafen wurde ich dann prompt auf den BVB und den Inhalt der Kartons angesprochen, natürlich auch auf die aktuellen Probleme.

Nach über 10 Stunden Reisezeit mit Zwischenstopp in Istanbul und Baku dann die Landung in Kabul. Erster Eindruck noch vom Flugzeug aus – staubiges, trockenes Land. Als wir an einer Reihe von Apache-Kampfhubschraubern vorbeirollen, wird einem tatsächlich bewusst, in welches Land man gekommen ist. Ganz kurz dachte ich in diesem Moment an meinen Kollegen, der mich eigentlich begleiten wollte, aber wegen der aktuellen Entführung von drei UN-Mitarbeitern kurzfristig absagte.
Im Flughafengebäude dann ein unglaubliches Gedränge um das einzige Gepäckförderband. Leider sind meine beiden BVB-Kartons nicht da! Afghanische Freunde holen mich ab. Gemeinsam geben wir eine Verlustmeldung auf. Durch die Passkontrolle geht es dann mit Beziehungen schnell.

Der Verkehr in der Stadt ist unglaublich chaotisch. Regeln gibt es offenbar nicht, vorbei an festungsartig abgeschirmten Botschaften. Es grenzt schon an ein Wunder, hier heil durchzukommen.

Samstag Nachmittag besuchen wir ein Waisenhaus, das Tor wird von einem mit einer Kalaschnikow bewaffneten Mann geöffnet. Der Fußballplatz befindet sich gleich neben dem Waisenhaus. Das Spiel ist bereits in vollem Gang. Was für ein Platz –staubig und überall Steine, aber die Jungs sind voll dabei! Später erzählt mir der Fußballpräsident bei einem Treffen zusammen mit einem kritischen Journalisten im Interconti Kabul, dass es in Afghanistan keinen einzigen Rasenplatz gibt, wegen der Staubentwicklung tragen die Spieler teilweise Gesichtsmasken. In Kabul selbst, einer 4 Millionen Stadt, gibt es 18 Teams der Gruppe A, 32 Teams der Gruppe B und 60 Teams der Gruppe C. Aus dieser Kabul-League werden dann Teams selektioniert, die sich dann zusammen mit anderen qualifizierten Mannschaften aus den Provinzen (Herat, Mazar-e-Sharif, Kandahar, Zentralprovinzen) in einer Herbstmeisterschaft in Kabul messen. Eine Nationalmannschaft gibt es noch nicht, dies ist für kommendes Jahr vorgesehen, wesentliche Voraussetzung hierfür ist jedoch noch die Konstituierung des Nationalen Fußballverbandes.
Die Begeisterung für Fußball kennt keine Grenzen, das bestätigte mir auch Frau Antonia Rollwage, zuständig für Kultur und Presse an der Deutschen Botschaft. Ab und zu belädt sie ihr Auto mit Fußbällen, fährt durch die Stadt und verteilt sie dann an Straßenkinder.

Nach Herat gekommen, einer Stadt knapp eineinhalb Flugstunden von Kabul entfernt an der iranischen Grenze – was sehe ich- mehrere Fußballplätze mitten in der Stadt in einem Park. Da Freitag ist – der Feiertag der Muslime – herrscht reger Fußballbetrieb.
In Kabul –ebenfalls an einem Freitag – beobachte ich im Park gegenüber meinem Gästehaus, Familien mit Kindern, die Fußball spielen. Was für ein friedliches Bild! Fast möchte man vergessen, dass ich in dieser Stadt soviel waffentragende Männer innerhalb weniger Tage gesehen habe wie während meiner gesamten Bundeswehrzeit als Stabsarzt nicht. Trotzdem – in Begleitung meiner afghanischen Freunde habe ich mich nie unsicher gefühlt!

In Deutschland an ein funktionierendes Gemeinwesen und kompetentes, hocheffizientes Medizinsystems gewöhnt, kann ein Besuch Afghanistans durchaus einen dramatischen Eindruck hinterlassen. Ein Vergleich mit den Verhältnissen in Deutschland, wenngleich naheliegend, ist jedoch m. E. nicht fair, begreift man die Ausgangslage in Afghanistan. Mehr als 25 Jahre Krieg und Bürgerkrieg haben bei den Menschen natürlich Spuren hinterlassen, bis eine Zivilgesellschaft, wie wir sie verstehen, entstanden ist, werden sicher Jahrzehnte vergehen. Das größte Problem dabei dürfte die über 90%ige Analphabetenrate darstellen, einer ganzen Generation Jugendlicher fehlen Lehrer, die sie ausbilden. Trotzdem – wie mir Bruder Reto von der Christusbruderträgerschaft (er lebt seit 32 Jahren ununterbrochen in Afghanistan), hat sich in den letzten zwei Jahren mehr getan als in den 30 Jahren davor – die Menschen haben wieder Hoffnung und sind begierig darauf zu lernen. Das bestätigte mir auch Herr Dr. Jean Claude Voisin (von Haus aus Historiker) von der Außenstelle der Deutschen Botschaft in Herat. Dort gibt es in der Stadt einen Literaturkreis, aber nicht nur in der Stadt, sondern auch in den umliegenden Dörfern finden Literaturabende statt. Jetzt eben hat das erste Theaterfestival auf dem Campus der Universität in Kabul stattgefunden.

Die Probleme des Staates beginnen m. E. beimStaatsverständnis der Afghanen. Für einen Afghanen kommt an erster Stelle die Familie, gefolgt von Stamm und Religion, der Staat rangiert „unter ferner liefen“. Es gibt (u. a. auch deswegen) kein funktionierendes Steuersystem, der Staat hat also keine eigenen Einnahmen, er ist auf die Gelder der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen. Zahlreiche Hilfsorganisationen (sog. NGOs) sind darüber hinaus in Afghanistan tätig. Kritische Stimmen merken an, dass nicht immer klar ist, wie die Gelder bei diesen NGOs verwendet werden.

Ein funktionierendes Banken-, Versicherungswesen und Rechtssystem ist ebenfalls nicht existent. Wesentlicher Bestandteil der Lebensphilosophie scheint der Begriff „Bakschisch“ zu sein. Über den Drogenhandel (im Jahr 2002 wurden ca. 4000 t Schlafmohn, trotz eines offiziellen Verbotes, als Ausgangsprodukt für Rohopium, geerntet) kommen mehr Gelder ins Land als durch alle ausländischen Organisationen zusammen. Ende November veröffentlichte die Antidrogenagentur der Vereinten Nationen (UNODOC), dass sich die Erlöse aus dem afghanischen Drogenexport auf 2,8 Millionen Dollar erhöht haben. Das entspricht etwa 60% des afghanischen Bruttosozialproduktes. Offen wurden in diesem Zusammenhang von meinen afghanischen Freunden die neu gebauten Paläste in Kabul angesprochen, Ausdruck einer dramatischen Kluft zwischen Arm und Reich. Wer das Problem des Drogenkonsums zu lösen versucht, steht vor unüberwindbaren Barrikaden. Bisherige Versuche mit dem Alternativanbau von Getreide, Obstbäumen oder Safran versprechen nicht annähernd vergleichbare Erlöse.

Kabul wirkt wie in Moloch, der enorme Verkehr verursacht einen unglaublichen Smog, aufgrund der fehlenden Straßenbeleuchtung wirkt die Situation am Abend surreal. Wenn man dann auf der Rückfahrt von einem Essen mit afghanischen Freunden in eine Militärkontrolle kommt, ist einem schlagartig die Sicherheitslage in Afghanistan präsent. Diese wie Soldaten gekleideten Männer können auch mal ganz einfach Geld verlangen. Oder - die UN-Mitarbeiter wurden am helllichten Tag entführt. Gott sei Dank konnten sie durch ein Kommando der USA befreit werden.

Immer wenn man auf Afghanistan zu sprechen kommt – automatisch wird das Risiko erwähnt. Wegdiskutieren kann man es nicht – es bleibt ein Restrisiko, das jeder trägt, wenn er nach Afghanistan kommt.

Vom Gesundheitswesen in Afghanistan konnte ich Vomir durch den Besuch mehrerer Krankenhäuser in Kabul und Herat und in vielen Gesprächen mit Kollegen ein umfassendes Bild machen. Leishmaniose, Tuberkulose, Typhus, Malaria, Echinoccocus sind gängige Krankheitsbilder. Ausdruck auch der hygienischen Situation, so gibt es keine Kanalisation und der Fluss Kabul ist eine Kloake. Überraschend, dass die Brunnen nicht belastet sind, wie Probennalysen ergeben haben, so die Auskunft im Feldlazarett der ISAF-Truppe in Camp Warehouse Kabul. Leprafälle sind fast nicht mehr zu beobachten, so Bruder Jaques von der Christusbruderträgerschaft. Der Gesundheitsminister berichtete von 500 Fällen von neu aufgetretener Kinderlähmung in Kabul im letzten Jahr. Ösophaguscarcinometreten offenbar gehäuft auf, auch schon bei jungen Frauen, so Prof. Martin Wienbeck (ehemaliger Chef der Med. Klinik am Klinikum Augsburg), der am Lehrkrankenhaus Ali Abad der Universität Kabul eine Endoskopie-Einheit aufgebaut hat. Er lebt mehrere Monate im Jahr in Afghanistan, bewegt sich völlig frei in Kabul (zu Fuß, mit dem Fahrrad) und bildet afghanische Kollegen aus. Die Therapie des Ösophaguscarcinoms besteht rein palliativ mit Stents, die chir. Therapie oder onkologische (Radiochemotherapie) Optionen sind nicht realisierbar. Einen Erklärungsansatz für das gehäufte Auftreten des Ösophaguscarcinoms gibt es bisher nicht, vielleicht spielt die spezielle Ernährungssituation und die extreme Härte des Wasser eine Rolle.

Das Ali Abad Krankenhaus selbst hat zwei OP-Säle und leidet an einer ausgeprägten Enge, die Hygienesituation ist grenzwertig. Die diagnostischen Möglichkeiten sind begrenzt, die Klärung findet häufig auf operativem Wege statt. In die Versorgung der Patienten sind Familienangehörige mit eingebunden. Da die Stromversorgung problematisch ist, kann es vorkommen, dass während einer OP der Strom wegbleibt, ein Notstromaggregat gibt es natürlich nicht.

Das Militärkrankenhaus in Kabul ist ein 400 Betten-Haus mit den Disziplinen Chirurgie (Gefäße, Thorax, Trauma, Neurochirurgie) und Innere (Allgemein, Gastroenterologie). Es wurde unter sowjetischer Führung ausgebaut und unterstützt. Während des Krieges war es mit bis zu 1000 Patienten belegt, so der Chef der Allgemeinchirurgie Prof. Dr. B. Nijrabi. Das Militärkrankenhaus wirkt insgesamt von den Räumlichkeiten besser ausgestattet. Auch hier gibt es keine Intensivstation mit Nachbeatmungsmöglichkeiten. Es gibt in der Stadt Kabul ein privat betriebenes CT (das einzige in Afghanistan) das von MTA’s bedient wird. Die Daten werden per Internet nach Pakistan geschickt und dort begutachtet. Der Befund kommt dann nach einer Woche an.

Die Christusbruderschaft betreibt in Kabul zwei kleine, sehr aktive Tageskliniken –in der einen werden Leishmaniose Patienten behandelt, in der anderen Tuberkulose- und Epilepsiekranke. Beide Tageskliniken sind in der Bevölkerung sehr akzeptiert.

Mit Kam-Air bin ich dann in Begleitung von Dr. Naim Assad nach Herat geflogen. In Herat in einem Sandsturm zu landen ist dann eine Erfahrung der besonderen Art. Das kleine Flughafengelände liegt weit vor der Stadt, gesichert von Amerikanern. Wir werden von einer Abordnung der Universität abgeholt. Auf dem Weg zur Stadt überqueren wir tatsächlich einen Fluss, der diesen Namen auch verdient. Das Land sieht insgesamt fruchtbar aus. In der Stadt auch relativ viele Bäume, insgesamt wirkt sie freundlicher als Kabul. Der Verkehr ist auch geringer, auffallend viele geschmückte Pferde-Droschken. Zunächst Empfang beim Rektor der Universität, Professor Mochles, einem Theologen, in Anwesenheit mehrerer Fakultätsmitglieder, u. a. auch Professor Esrad, einem Chirurgen, der schon in Deutschland hospitiert hat. Danach Besichtigung der Medizinischen Fakultät Herat mit dem Dekan Prof. Dr. Aram, einen Pädiater. Dr. Aram zeigt mir das Lehrgebäude mit der Bibliothek. Der Unterricht findet in Klassen statt, teilweise sind die Geschlechter noch getrennt. Die Bibliothek ist karg ausgestattet.

Nach dem Mittagessen im Marco Polo Restaurant, gleichzeitig unser Hotel, findet auch ein ausgiebiges Gespräch mit Professor Aram und Professor Esrad statt, wie eine Patenschaft zwischen den Med. Fakultäten Frankfurt und Herat aussehen könnte. Es wurden folgende Projekte avisiert.

1) Kurse (1-2 Woche) aus den verschiedensten Fächern für Dozenten (täglich 9-13 Uhr)

2) Unterstützung mit audiovisuellem Material, Büchern, Overhead- und Dia-Projektoren.

Per Zufall nehmen wir an der Gründungsveranstaltung des Rotary Clubs Herat teil.
Am nächsten Tag besuche ich die Leiterin des Gesundheitswesens der Region Herat, Frau Dr. Raufa Niyazi, einer Augenärztin. Sie macht einen resoluten und kompetenten Eindruck, und scheint bei der Männerwelt akzeptiert und respektiert zu werden. Anschließend Visite und OP-Besichtigung im öffentlichen Krankenhaus Herat. Ursprünglich ein 200 Bettenhaus, jetzt aber mit 400 Patienten belegt, gleichzeitig auch Lehrkrankenhaus der Universität. Das Krankenhaus macht einen sauberen, ordentlichen Eindruck. In den OP-Sälen stehen mehrere Tische nebeneinander, an denen gleichzeitig operiert wird. Eine OP-Schwester am Tisch gibt es nicht, lediglich einen Springer im Saal. Das OP-Team besteht aus zwei Chirurgen und einem Anaesthesie-„Techniker“. Ausgebildete, gut trainierte Anaesthesisten sind rar, wenn überhaupt vorhanden in Afghanistan. Hier wird ein grundlegendes Problem des Gesundheitswesens Afghanistans evident: Alle Angestellten eines Krankenhauses, von der Putzfrau bis zum Chefarzt, erhalten das gleiche Gehalt: ca. 40 – 50 Dollar pro Monat. Damit kann niemand überleben. Die Konsequenz: Ab der Mittagszeit sind alle Ärzte in privaten Praxen tätig und verdienen dort zwischen 50 – 100 Dollar pro Tag. Da Anaesthesisten (das gleiche gilt für Pathologen) keine Patienten privat behandeln können, wird dieses Fach nicht angestrebt. Entsprechend sind die Narkosen. Operative Eingriffe werden häufig in Ketanest-Anaesthesie vorgenommen, oder, das einzige Beatmungsgerät (in Herat) kann nicht adäquat bedient werden. Wenn an diesem Entgelt-System nicht eine grundlegende Reform vorgenommen wird, ist eine Entwicklung der Hospitäler zu einer besseren Versorgung der Patienten m. E. nicht vorstellbar. Dies muss politisch gewollt und auch adäquat nachhaltig kontrolliert werden. Obwohl für die privatärztliche Behandlung Gebühren staatlich vorgegeben sind, wird offen zugegeben, dass Patienten durchaus mehr bezahlen. Fairerweise muss aber auch festgehalten werden, dass es Kollegen gibt, die Patienten, die sehr arm sind, umsonst behandeln. Die Behandlung in den Krankenhäusern ist kostenfrei, Medikamente werden auf Rezept verordnet und können in Apotheken gegen Gebühr bezogen werden. Bei der Rezeptverordnung von Medikamenten werden häufig bis zu 10 Medikamente aufgelistet, zurückzuführen wohl auf die Meinung der Patienten, dass der Arzt umso besser ist, je mehr Medikamente er verordnet. Darüber hinaus ist der Arzt auch am Umsatz des Apothekers beteiligt.

Die Stadt Herat selbst hat eine wunderbare Moschee und eine sehenswerte Altstadt. Unter Begleitung afghanischer Freunde habe ich einen kleinen Teppich und einige typische blaue Herat-Gläser gekauft. Am Stadtrand befindet sich ein Sufi-Grabmal, das ein Ort der Ruhe und Gebetes ist. Von dort fuhren wir wieder hinab in die Stadt, die jahrhundertealten, für Herat charakteristische Minarette im gleißenden Licht der untergehenden Sonne vor Augen, im Hintergrund hoch aufragende Berge – ein Bild, für das es sich allein gelohnt hat, hierher zu kommen. Wieder in Kabul zurück besuche ich die ISAF-Truppen in Camp Warehouse. Die Sicherheitsvorkehrungen beim Betreten des Camps sind ausgesprochen streng. Im ganzen Areal darf wegen der Staubentwicklung nur 5 km/h gefahren werden. Durchs Feldlazarett werde ich dann von Frau Oberfeldärztin Dr. Pulawska geführt. Der Empfang bei den deutschen Landsleuten ist ausgesprochen freundlich. Es ist zweiter Advent, der auch fern der Heimat gefeiert wird mit dem frisch aus der Heimat eingetroffenen Gebäck. Der Versuch, über das Oberkommando der Amerikaner in Kabul, die Erlaubnis zu bekommen, das Feld-Hospital in Baghram zu besuchen, schlägt leider fehl. Vielleicht ist auch das im Kontext der „deutsch-amerikanischen“ Beziehungen zu sehen, die nach Aussage eines Majors in Camp Warehouse durchaus nicht positiv einzuordnen sind.

Der Rückflug nach Deutschland verzögert sich um einen Tag, die afghanische Fluggesellschaft Ariana hat offenbar wieder ein Organisationsproblem. Wir haben Zeit, noch einmal das Marktviertel zu besuchen. Sabu begleitet mich. Das Marktviertel platzt aus allen Nähten und das Leben pulsiert hier in einer unglaublichen Intensität. Abschließend fahren wir aus Kabul heraus in ein Dorf. Größtes Problem – es gibt kein Wasser. Die Bewohner müssen sehr weit gehen, um Wasser zu holen.

Zwei Wochen gehen zurückblickend schnell vorbei, als Gast des Vereins für Afghanistan-Förderung (VAF))/Union Aid for Afghan Refugees sehr gut betreut, habe ich jedoch sehr viele Erkenntnisse gewinnen können, die andernfalls nicht möglich gewesen wären.

Hier möchte ich mich sehr herzlich bei Herrn Hekmat, dem Geschäftsführer des VAFs bedanken, der die Reise sehr gut organisatorisch vorbereitet hat. Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Naim Assad, der mich durch Afghanistan begleitete, und mir zum väterlichen Freund wurde. Er wurde nicht müde, meine Fragen zu beantworten. Taschakor, Naim!

Zurück in Deutschland, diesmal ein Direktflug mit Air Luxor, erfahre ich dann vom Präsidenten des Fußballverbandes, das meine beiden BVB-Kartons gefunden wurden! Er hatte sich persönlich bei Ariana, der afghanischen Fluggesellschaft, eingesetzt.

Wie würde jetzt mein väterlicher Freund, Dr. Naim Assad sagen: „Gott ist mit den Geduldigen“, so steht es schon im Koran.

Wenn das so ist, dann ist er mit den BVB-Fans allemal!

Im Dezenber 2004

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