Wundversorgung ist keine Maßnahme im luftleeren Raum.
Die lange als Ideal gepriesene Vakuumtherapie eignet sich selten als Dauerlösung: Neue Empfehlungen mahnen zur Vorsicht und schließen Transplantation von Haut ein
Wie eine Wunde richtig zu versorgen ist, damit sie sich schnell und komplikationslos schließt, ist eine bis heute ungelöste Frage. Die ältesten schriftlichen Zeugnisse stammen aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend. In ihnen wird empfohlen, Wunden mit in Öl und Honig getränkten Leinentüchern zu bedecken. Einige tausend Jahre später wird immer noch an der perfekten Strategie gefeilt.Eine Zeitlang sah es so aus, als könnte der Vakuumverband dabei zum wichtigsten Hilfsmittel werden. Das Konzept scheint geradezu perfekt: Die Wunde wird luftdicht verschlossen und das Sekret über einen Schwamm abgeleitet. Den nötigen Unterdruck liefert eine Vakuumpumpe. Wie mit einem Staubsauger werden die Keime abgesaugt, und die, die dabei nicht entfernt werden, gehen in dem sauerstofffreien Milieu zugrunde. Die luftdichte Abdeckung schützt die Wunde zudem vor Keimen aus der Umwelt. Außerdem liefert der Unterdruck einen wichtigen Impuls für die Bildung neuen Gewebes und den Rückgang der Entzündung. Inzwischen weiß man, dass der Vakuumverband zwar vieles davon leistet, aber auch klare Grenzen hat. Er führt nicht zwangsläufig zu einer keimfreien Wunde und zu einer schnelleren Heilung, sondern er kann bei langfristiger Anwendung auch Schäden erzeugen. Gisbert Holle vom St.-Markus-Krankenhaus in Frankfurt und Günter Germann von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Ludwigshafen haben deshalb neue Empfehlungen für die Verwendung der Vakuumtherapie erarbeitet ("Der Unfallchirurg", Bd. 110, S. 289 und Bd. 110, S. 490).Nach Ansicht der beiden Chirurgen gehört das Verfahren in die Frühphase der Wundversorgung. Es ist keine Dauerlösung für schlecht heilende Wunden. Das hat mit einer Nebenwirkung zu tun, deren Bedeutung zunächst unterschätzt wurde. Das Vakuum setzt die Zellen einem Dehnungsreiz aus. Daraufhin bilden sie nicht nur sogenanntes Granulationsgewebe, mit dem der Defekt aufgefüllt wird, sondern auch eine derbe Narbenplatte auf dem Grund der Wunde. Kommt diese Platte in der Nähe flexibler Strukturen wie Sehnen oder Muskeln zu liegen, nimmt deren Beweglichkeit ab. Das kann so weit gehen, dass diese anatomischen Strukturen regelrecht eingemauert werden. Holle meint, dass er immer wieder Patienten behandele, die nach einer wochenlangen Vakuumtherapie die betroffenen Gliedmaßen wegen der Narbenplatte nicht mehr bewegen könnten. Diese Einbußen ließen sich auch nicht mehr beheben. Die Vakuumtherapie sei deshalb kein Ersatz für das Abdecken der Wunde mit einem Haut- oder Muskellappen. Das saubere Einnähen eines Transplantats liefere nach wie vor das beste funktionale und kosmetische Ergebnis.Holle und Germann plädieren deshalb für ein stufenweises Vorgehen, bei dem die Vakuumtherapie nur ein erster Schritt ist. Es ist für akute und chronische Wunden gleichermaßen geeignet. Begonnen wird mit dem Ausschneiden des Areals. Dadurch wird totes Material entfernt und die Wunde wieder in einen aktiven Zustand versetzt. Danach sollte der Bereich für ein paar Tage mit einem Vakuumverband abgedeckt werden. Bildet sich in dieser Zeit Granulationsgewebe, ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass der Wundgrund in der Lage ist, die Heilung voranzutreiben. Nur wenn dieser Nachweis erbracht worden ist, ist die Transplantation eines Hautlappens sinnvoll. Für Holle ist die Demonstration dieser Regenerationsfähigkeit deshalb eine der wichtigsten Aufgaben, die der Verband zu leisten hat. Danach sollte die Wunde wieder ausgeschnitten und mit einem Transplantat bedeckt werden. Die Ansicht, auf diese Deckung verzichten zu können, wenn der Vakuumverband lange genug aufrechterhalten wird, halten Holle und Germann für eine grobe Fehleinschätzung.Nimmt man die einzelnen Wirkungen der Therapie genauer unter die Lupe, wie das die beiden Chirurgen getan haben, zeigt sich, dass die Bildung des Granulationsgewebes der wichtigste Effekt ist. Der Abtransport des Sekrets und die luftdichte Abdeckung sind weniger wichtig als ursprünglich angenommen. Die bessere Durchblutung und der Rückgang der Keimzahl gehen vermutlich auf die Bildung des Granulationsgewebes zurück. Dieses Gewebe besteht vor allem aus Gefäßwucherungen. Dadurch werden mehr Blut, Abwehrzellen und Botenstoffe in das Wundgebiet transportiert. Allerdings sind diese Effekte nicht von langer Dauer.Bleibt der Vakuumverband länger angeschlossen, kann die Durchblutung wieder abnehmen und die Keimzahl steigen. Es gibt offensichtlich genug Erreger, die sich in dem luftarmen Milieu - luftdicht ist es selten - wohl fühlen. Auch das zeigt, dass die Vakuumtherapie nicht für den Dauereinsatz geeignet ist. Einzige Ausnahme sind einige chronische Wunden am Fuß, die auf Diabetes zurückzuführen sind. Bei diesen Patienten kann die Heilung wegen der Grunderkrankung so beeinträchtigt sein, dass man es kaum riskieren kann, an anderer Stelle des Körpers einen Lappen zur Deckung der Wunde zu entnehmen. Schwierig ist die Wundversorgung auch bei Patienten, deren Zustand eine größere Operation nicht zulässt. In diesen Fällen muss versucht werden, den Defekt durch die Vakuumtherapie zu schließen. Das sollte aber nach Ansicht der Ärzte nicht die Regel, sondern nur die Ausnahme sein.
HILDEGARD KAULEN FAZ 1.8.2007
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