Dede bleibt: Borussia Dortmund ist nicht mehr auf jede Million angewiesen. Mit "Powerfußball" geht der BVB in die Offensive
In der Hochphase der fußballfreien Zeit haben die Kaffeesatzleser Konjunktur. Solange es an verlässlichen Koordinaten mangelt, gerät die Bundesliga zum Rätselspaß. Um der Lösung ein wenig näherzukommen, werden die Vereine im Sommer gebeten, eine Selbsteinschätzung abzugeben. Am Anfang steht die plumpe Frage, was am Ende wohl herauskommen mag. Viele Klubs mögen dieses Pausenspielchen nicht sonderlich und winden sich wortreich, wenn sie nach ihrem "Ziel" gefragt werden. Und manche spielen gar nicht erst mit, aus Sorge, sich neun Monate später für Selbstüberschätzung rechtfertigen zu müssen. Ein Paradebeispiel aus dieser Gruppe ist Borussia Dortmund.Vor einem Jahr noch hatte der Klub die Rückkehr auf die internationale Bühne als Ziel vorgegeben und war am Ende knapp dem Abstieg entronnen. Diesmal weigern sich die BVB-Verantwortlichen, bestimmte Tabellenplätze als Maßstab für den sportlichen Erfolg zu nennen. Statt sich auf heikle Zahlenspiele, auf Hoch- und Wahrscheinlichkeitsrechnungen einzulassen, liefern sie lieber eine Produktbeschreibung, die das Erlebnis fürs Erste über das Ergebnis stellt. "Powerfußball" heißt das Gütesiegel, mit dem Cheftrainer Thomas Doll die Mannschaftsleistung etikettiert sehen will.Der Begriff ist zwar ein wenig unschärfer als eine konkrete Platzzahl, versperrt aber dennoch den Fluchtweg ins Unverbindliche. Powerfußball verspricht dem treuen und zuletzt sehr leidensfähigen Publikum Unterhaltung auf einem viel höheren Niveau als in der vergangenen Saison - und letztlich auch mehr als den neunten oder den siebten Platz; das waren zuletzt die Ränge, auf die der Revierklub zurückgefallen ist. "Wir wollen unseren Fußball nicht mehr über Ballbesitz definieren, sondern über zügiges Spiel nach vorn", sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Das klingt vage und verschafft dem Trainer, dem Sportdirektor und der Mannschaft nach heftigen Turbulenzen für ein paar Wochen Ruhe, mehr nicht. Letztlich steht die sportliche Leitung genauso unter Druck wie überall, wo hohe Ansprüche Tradition besitzen. "Wenn wir intern diskutieren, haben wir natürlich schon unsere Vorstellungen", sagt Watzke. "Irgendwann müssen auch mal Resultate herauskommen." Und zwar solche, die den wirtschaftlichen Aufschwung des börsennotierten Klubs beflügeln, der vor zweieinhalb Jahren nur knapp die Insolvenz abzuwenden vermochte.Die hohen Dortmunder Ansprüche werden bei genauem Hinsehen nicht nur an Etiketten sichtbar, sondern letztlich auch an Zahlen. Jüngst lehnte der Revierverein ein Kaufangebot des AS Rom ab. Der italienische Spitzenklub, kurz zuvor noch gerngesehener Gegner bei einem Privatspiel, wollte den linken Verteidiger Dede abwerben, der bei den Westfalen bis 2011 unter Vertrag steht. Der Spieler wäre bereit gewesen zum Wechsel - kein Wunder bei einer Jahresgage von drei Millionen Euro netto. "Sie haben Dede ein Superangebot gemacht", sagt Watzke, "aber sie hätten auch uns ein Superangebot machen müssen." Diese Anforderung sah der Geschäftsführer bei der offerierten Ablöse von acht Millionen Euro als nicht erfüllt an. "Bei zwölf Millionen mit ein paar Prämien obendrauf wäre die Möglichkeit da gewesen, in ernsthafte Gespräche einzutreten. Dede ist einer unserer zentralen Spieler überhaupt. Wir sind nicht der Discountladen des AS Rom." Und sie sind nicht mehr auf jede Million angewiesen. "Vor einem Jahr hätten wir dieses Angebot wohl nicht abgelehnt", sagt Watzke. "Aber inzwischen haben wir einen Status erreicht, wo wir so etwas nicht mehr machen müssen."In solchen Personalentscheidungen äußern sich die wahren Ambitionen des BVB, so bald wie möglich wieder aufzuschließen zum Kreis der Besseren und Besten in der Liga. Und noch eine Kennzahl lässt auf die Ziele des Klubs schließen. Die Geschäftsführung hat nach eigenen Angaben insgesamt rund dreizehn Millionen Euro in neue Spieler wie den stürmenden Spielmacher Mladen Petric oder die Angreifer "Kuba" Blaszczykowski und Diego Klimowicz investiert und damit buchstäblich eine neue Offensive gestartet. 7,6 Millionen Euro entfallen auf Ablösezahlungen, mehr als beim sportlich zuletzt erfolgreicheren Nachbarn Schalke; der Rest fließt in die Steigerung des Gehaltsetats, heißt es. Nach bedrohlichen Situationen, erst wirtschaftlich, dann sportlich, will Dortmund auf beiden Feldern des Geschäfts wieder zu einer der ersten Adressen werden. Um diesen Anspruch zu formulieren, bedarf es keiner Platzangabe; die Personalpolitik spricht für sich, auch in weniger augenfälligen Abteilungen. Das Trainerteam sei wissenschaftlich und personell verstärkt worden, sagt Watzke.Die Kundschaft goutiert die neue Offensive, auch ohne konkretes Saisonziel im Sinne eines Tabellenplatzes. Der BVB hat 50 000 Dauerkarten verkauft, mehr als jeder andere Bundesligaklub - und das, obwohl die Dortmunder Fans von ihrer Mannschaft im vierten Jahr nacheinander keine Europapokalspiele geboten bekommen. Die riesige Südtribüne, auch als gelbe Wand bekannt, ist vollständig ausgebucht. Das Dortmunder Publikum geht den Weg mit. Ob die Mannschaft ihm folgen kann?RICHARD LEIPOLD FAZ vom 1.8.2007
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