Sonntag, 24. Juni 2007

Islam und Christentum - Wie gehen wir miteinander um?

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.06.2007, Nr. 143, S. 1

Islam unter säkularen Christen
VON WOLFGANG GÜNTER LERCH
Wie sollen Gläubige und Glaubenlose das Künftige bewältigen?Der Streit um die Errichtung einer Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld macht wie andere Beispiele deutlich, wie groß das Misstrauen zwischen der eingesessenen Mehrheitsbevölkerung und den muslimischen Einwanderern ist: Die in dem Stadtteil lebenden, sozusagen "indigenen" Deutschen, die zu dem Projekt zuerst gar nicht und dann nur spät und nicht gerade gründlich befragt wurden, glauben den Versicherungen der Muslime, dies werde eine "gläserne", also Einblick gewährende Moschee sein, nicht; und umgekehrt vermögen die Anhänger des Propheten Mohammed nicht zu verstehen, warum sich so viel Unbehagen gegenüber ihrer Religion, in der sie wurzeln und die sie trägt, manifestiert.Es ist nicht nur die lange und schwierige Geschichte zwischen Christen und Muslimen, die da als jeweiliges Vorverständnis hinderlich wirkt. Es ist viel mehr! Große Teile Europas und der "Orient" haben sich, was die Religion betrifft, auf weite Strecken auseinandergelebt. Gewiss: Auch unter den Muslimen, sogar im "klassischen" Dar al-islam selbst, gibt es Säkularisierte, die als Kulturmuslime kaum noch über eine nennenswerte religiöse Praxis verfügen - und dies in einer Religion, die weitgehend als Orthopraxie, also "richtiges Handeln", weniger als Orthodoxie - "richtige Lehre" - charakterisiert werden kann. Doch ihre Zahl ist weitaus geringer als in einem Nord-, Mittel- und Westeuropa, das seit Reformation und Aufklärung drastisch verweltlicht worden ist, dessen weitere Verweltlichung (und Entkirchlichung) offenbar noch voranschreitet und dessen Christen von der einstmals das gesamte Leben tragenden christlich-spirituellen Tradition häufig nur noch ein "soziales Heil" in einer ansonsten durch und durch weltlichen Gesellschaft übriggelassen haben. Die beständig zunehmenden Agnostiker vermögen das "soziale Engagement" oder auch den christlichen "Einsatz für eine friedliche Welt" und ähnliches zwar zu goutieren, leiten dies freilich längst aus anderen, nichtchristlichen Weltanschauungen her, wenn sie sie nicht sogar für selbstverständlich ("humanistisch") halten.Muslime hingegen verfügen im Allgemeinen noch über die ganze Breite ihrer Glaubensüberzeugungen, und auch die religiöse Praxis ist weitaus intensiver. Es ist vielleicht weniger die Scharia, das allumfassende religiöse Recht des Islams, über welche die Nichtmuslime wenig wissen, die das Unbehagen vieler hervorruft, als vielmehr eine diffuse Angst, "den Muslimen nicht gewachsen" zu sein; erst recht, wenn Großmoscheen auffällig von der Ausbreitung des Islams künden. Auf der Seite derjenigen, die sich noch irgendwie mit dem Christlichen identifizieren, arbeitet sich "am Muslim" auch ein instinktives Erschrecken darüber ab, dass der Glaubensverlust der eigenen Gesellschaft ungeahnte Folgen für deren Zusammenhalt haben könnte. Dies gilt insbesondere für den Verlust der eigentlichen transzendenten Inhalte der Religion - Tod, Leben, Sinn -, die durch eine noch so gute Sozialpolitik nicht zu bewältigen sind. Reichen Wissenschaft, Grundgesetz und Wohlstand aus, um eine Gesellschaft auf Dauer innerlich zusammenzuhalten?Nicht allein der religiöse Mensch, erst recht der glaubenslose, steht vor der Frage, wie er das auf ihn Zukommende bewältigen soll. Die von den Glaubenslosen gegebenen Antworten und vorgesehenen Strategien befriedigen trotz erheblicher philosophischer Anstrengungen letztlich so wenig, wie umgekehrt die Verheißungen der christlichen Religion offenkundig bei vielen an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben. Eine letzte Schein-Zuflucht bieten Pseudoreligionen und asiatische Bekenntnisse. Bleibt nur noch die nietzscheanische Akzeptanz des metaphysischen Nihilismus als höchste Formel der Bejahung übrig?Muslime sind glaubensstärker, und sie stehen zu ihrer Religion. "Wir müssten wieder christlicher werden", ist deshalb jetzt allenthalben in privaten Gesprächen zu hören, ein Stoßseufzer, der sich gleichzeitig im Klaren darüber ist, dass dies ja niemand anordnen kann. So hoffen manche, nicht ohne Grund, dass der Sog, der von der westlichen Gesellschaft und ihren Freiheiten (freilich auch von ihren Unarten und Sünden) ausgeht, auch auf die muslimischen Migranten seine Wirkung ausüben werde. Bis zu einem gewissen Grad tut er das auch schon. Doch viele Muslime fühlen sich gerade davon abgeschreckt und schließen die Reihen.Hier kommt die Scharia ins Spiel. Dieses "Regelwerk", das vom Kult bis zum Alltag alle Verhaltensweisen der Gläubigen zu lenken versucht, wurde von türkischen Migranten in Form althergebrachter anatolischer Traditionen in ihre neue Heimat Deutschland mitgebracht. Vielen dient es als Stütze in einer Gesellschaft, die sie als atomisiert und sittenlos erleben. Die verweltlichte aufnehmende Gesellschaft sieht in Gestalt der traditionsbewussten Muslime (von den Islamisten ganz zu schweigen) mit begründetem Erschrecken die Wiederkehr autoritärer, ja unterdrückerischer Kollektivregeln für das zivile Leben, die angeblich transzendent begründet sind und die man in einem mühsamen Prozess selbst vor kurzem losgeworden ist.Tatsächlich bilden jene Bestimmungen des muslimischen Verhaltenskodexes, die der Moderne zuwiderlaufen, das größte Hindernis für wechselseitiges Verständnis und erst recht für gelungene Integration. Daran muss die muslimische Seite arbeiten, und man muss sie dafür in die Pflicht nehmen. Umgekehrt muss die aufnehmende Gesellschaft offen bleiben für (alle) Menschen, die trotz voranschreitender Verweltlichung ihre Lebensentwürfe an Transzendenz und Religion, nicht allein an Zweckrationalität, Geldverdienen und/oder "Lebensfreude pur" ausrichten. In Deutschland wird es mehr Moscheen geben, es kommt freilich darauf an, was in ihnen gepredigt wird.

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