Donnerstag, 27. Dezember 2007

Lieber den Tod...

... als diesen Gemahl....
Am Hindukusch werden nicht selten Mädchen im Kindesalter an alte Männer verkauft

Qayyum ist nicht wiederzuerkennen. Der Tadschike, etwa Mitte vierzig, war der lebenslustigste aller "Driver" des Hotels Interconti. Bei einer Reise ins südostafghanische Chost erzählte er von seinen Liebschaften mit dem weiblichen Personal des Hotels. Jetzt sitzt Qayyum niedergeschlagen hinter dem Lenkrad seines Toyotas. "Ach, mein Herz ist gebrochen. Meine Tochter ist vor einem Monat in unserer Küche verbrannt. Sie war 14 Jahre alt." Wie das? "Sie hat Petroleum ins Feuer gegossen, und die Flammen erfassten ihr Haar und dann das Kleid." Eine Woche sei das Mädchen im Krankenhaus in Kabul gewesen. Aber die Ärzte hätten sie abgeschrieben. "Ich packte sie in das Auto und fuhr nach Peshawar. Dort soll es bessere Ärzte geben, haben die Leute gesagt. Doch nach einigen Tagen starb sie." Tränen laufen Qayyum über die lederne Haut.
"Das war kein Unfall, das weiß jeder hier", flüstert Akram, der älteste Fahrer des Interconti. Das Mädchen habe sich selbst verbrannt. "Allah möge ihr verzeihen." Die Geschichte bestätigt auch der Sicherheitschef des Hotels, Abidullah. Mit Mitgefühl, aber auch einer Spur Häme erzählt Akram, dass Qayyum verschuldet gewesen sei. Er habe sein Auto mit geliehenem Geld gekauft. Und in letzter Zeit war das Hotel fast leer. "Vor einigen Monaten kam ein reicher, weißbärtiger Mann um die 70 Jahre aus Bakram, ein ferner Verwandter von Qayyum, und bat um die Hand seiner Tochter", erzählt Akram. Qayyum, von den Gläubigern bedrängt, habe zugesagt. Einmal, fährt Akram fort, sei Qayyum mit seiner Tochter und seiner Frau nach Bakram gefahren. Dort habe das Mädchen das erste Mal den Mann gesehen, mit dem sie ihr Leben verbringen sollte. "Der Alte hatte keine Zähne. Das Mädchen wollte lieber sterben als diesen Mann heiraten." Wenn du dich weigerst, soll der Vater gesagt haben, werden wir alle hungern. Was hätte Qayyum bekommen, wenn die Geschichte nicht schiefgegangen wäre? Akram rechnet eine Weile und sagt schließlich: zehn- bis zwölftausend Dollar. Er lacht: "Das Mädchen soll hübsch gewesen sein."
Qayyums Tochter ist kein Einzelfall. Der Verkauf von Mädchen im Kindesalter an ältere Männer ist am Hindukusch gang und gäbe. Er kann armen Bauersfamilien helfen, ein mageres Jahr zu überstehen. In den Dörfern fügen sich die Mädchen zumeist in ihr Schicksal. Mit zehn oder elf Jahren wissen sie nicht, was sie erwartet. In ihrem neuen Zuhause müssen sie schuften, werden von ihrem Ehemann missbraucht und bringen Kinder auf die Welt.
Nach dem Sturz der Taliban hofften die Frauen auf eine bessere Zukunft. Sie durften wieder arbeiten. Die Tore der Mädchenschulen öffneten sich. Zum ersten Mal in der afghanischen Geschichte saßen Frauen in der Loya Jirga, der Ratsversammlung. Ihre bisweilen leidenschaftlichen Reden sorgen immer wieder für Tumulte. Es gibt Staatssekretärinnen und sogar eine Gouverneurin, bei der die Isaf-Generäle vorsprechen. Doch für das Gros der afghanischen Frauen hat sich nichts geändert. Die Bräuche der Stammesgesellschaft am Hindukusch sind zählebig.


Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23.12.2007, Nr. 51 / Seite 2

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