Montag, 10. Dezember 2007

Entwicklungshilfe als Wohlfühlprogramm

"Entwicklungshilfe ist ein Wohlfühlprogramm"Der Ökonom William Easterly zeigt, warum es nichts bringt, Geld in arme Länder zu pumpen - und warum Utopien katastrophal enden
FRAGE: Sie behaupten, die Entwicklungshilfe der vergangenen 50 Jahre sei nicht nur nutzlos, sondern schädlich gewesen.
ANTWORT: Wir sollten die Sache brutal ehrlich beurteilen. Die Vergangenheit zeigt, dass dort die schlechtesten Resultate erzielt wurden, wo am stärksten versucht worden ist, den Leuten zu helfen. In Schwarzafrika, wohin seit den sechziger Jahren 600 Milliarden Dollar Hilfsgelder geflossen sind, hat sich der Lebensstandard praktisch nicht verändert.
FRAGE: Es könnte aber sein, dass ohne diese Hilfe noch mehr Menschen an Hunger und Krankheiten gestorben wären.
ANTWORT: Es gibt heute ausgefeilte statistische Methoden, die solche Fragen beantworten. Es ist auch diesen Modellen nicht gelungen, nachzuweisen, dass Entwicklungshilfe den Lebensstandard anhebt. Angesichts der traurigen Lage Afrikas ist es befremdlich, darüber zu streiten, ob es noch schlimmer hätte kommen können. Als einziger Kontinent hat Afrika nicht von der Globalisierung profitiert. Er fällt immer weiter zurück, während die anderen Kontinente wenigstens im Gleichschritt mit den Industrieländern gewachsen sind.
FRAGE: Die Weltbank schätzt, dass zwischen 1990 und 2004 der Anteil der Armen an der Weltbevölkerung von 29 auf 18 Prozent geschrumpft ist. Völlig nutzlos waren die 2300 Milliarden Dollar Hilfsgelder der letzten 50 Jahre wohl doch nicht.
ANTWORT: Die Zahl ist auf das rasche Wirtschaftswachstum Chinas und Indiens zurückzuführen. Beide haben die Armut gesenkt. Die Entwicklungshilfe, die China und Indien erhalten, macht aber nur ein halbes Prozent ihres jeweiligen Bruttosozialprodukts aus. Die Weltbank jongliert mit Zahlen. Will sie beweisen, wie erfolgreich sie ist, dann enthalten die Statistiken China und Indien; will sie mehr Geld für ihre Hilfsprogramme, dann beschränken sich die Zahlen auf Afrika.
FRAGE: Der Ökonom Jeffrey Sachs, ein engagierter Kämpfer gegen die Armut in Afrika, fordert die Verdoppelung der Entwicklungshilfe auf jährlich 200 Milliarden Dollar.
ANTWORT: Sachs ignoriert die bisherigen Resultate und will die armen Länder mit noch mehr Geld überschwemmen. Es ist lächerlich, die Leistung eines Unternehmens an den Ausgaben zu messen. Eine Firma sollte an ihren Resultaten gemessen werden. In unserem Fall: Wie vielen armen Leuten ist zu einem besseren Leben verholfen worden?
FRAGE: Sachs verweist auf den Erfolg seiner Millenniumsdörfer.
ANTWORT: So werden Probleme doch nicht seriös gelöst. Sachs sucht sich ein winziges Dorf aus, pumpt massenhaft Geld hinein, fliegt Spitzenfachleute ein, die sich um alle Probleme kümmern, und dann behauptet er, so wie in dem Dorf mit 5000 Personen könne man die Probleme von 700 Millionen Afrikanern lösen.
FRAGE: Warum soll das nicht gehen?
ANTWORT: Der entscheidende Antrieb für die Millenniumsdörfer ist Sachs persönlich. Er sorgt dafür, dass all diese Fachleute herbeifliegen und dass die lokalen Regierungen, die sonst überhaupt nichts leisten, diesen Dörfern alles Nötige zur Verfügung stellen, weil es sich um Vorzeigeprojekte handelt. Die Millenniumsdörfer sind etwas Künstliches.
FRAGE: Sie halten Sachs für einen Utopisten, der glaubt, man könne das Ende der Armut planen?
ANTWORT: Die Millenniumsdörfer sind ein klassisches Utopistenprojekt. Im 19. Jahrhundert finden wir in den Vereinigten Staaten und Europa viele Beispiele von Utopisten, die versuchten, in einem kleinen Dorf die ideale Gesellschaft zu schaffen. Es gab "New Harmony" in Indiana und "Oneida" in New York, doch sie scheiterten. Ich glaube, dasselbe wird mit den Millenniumsdörfern passieren. Sobald Sachs und seine Filmstars weg sind, werden sie zusammenbrechen.
FRAGE: Wer ist noch schuld am Versagen der Entwicklungshilfe?
ANTWORT: Das System als Ganzes hat versagt. Dabei haben die Helferbürokratien ein solch geniales System geschaffen, dass niemand für das Versagen verantwortlich gemacht werden kann. Was einer der Gründe für das Versagen ist.
FRAGE: Dabei meinen doch fast alle westlichen Helfer, sie wüssten am besten, was gut für die Armen ist.
ANTWORT: Dieses Bevormunden, diese Neuauflage von Kiplings "Bürde des Weißen Mannes" hat viel zum Versagen beigetragen. Ein zweiter wichtiger Grund ist, dass keine individuelle Verantwortung existiert. Niemand wird zur Rechenschaft gezogen, wenn in einem Dorf Malariamedikamente nicht rechtzeitig eintreffen, um das Leben von Kindern zu retten. Es gibt keine Anreize, die sicherstellen, dass die Dinge wirklich funktionieren.
FRAGE: Lässt sich die Armut auf dieser Welt überhaupt beseitigen?
ANTWORT: Sicher. Sie schrumpft, während wir hier reden. Wie die Weltbank richtig festgestellt hat, sinkt die Zahl der Armen. Es passiert bloß nicht dort, wo der Westen sich am meisten darum bemüht. Es passiert an Orten, die eigene Wege gefunden haben.
FRAGE: Sollte der Westen seine Helferbrigaden abziehen und die armen Länder sich selbst überlassen?
ANTWORT: Es gibt Fälle, wo ein Abzug ratsam wäre. Wo Entwicklungshilfe immer wieder missbraucht wird, wäre es besser, die Hilfe einzustellen, als weiter ein schlechtes politisches System zu unterstützen. Es gibt andere Fälle, wo die Hilfe an der Regierung vorbeigeschleust und direkt zu den armen Leuten gebracht werden könnte. Ich glaube aber nicht, dass Entwicklungshilfe ein Land wirtschaftlich entwickeln oder für das Ende der Armut sorgen kann. Sie kann höchstens das Leiden der Armen lindern, bis sie einen eigenen Weg aus dem Elend finden. Sie kann für Medikamente sorgen, für sauberes Wasser, für Nahrungszusätze, für Bildung. Es gibt viele konstruktive Dinge, die Entwicklungshilfe für Menschen tun kann. Sie sollte aber wegkommen vom Ziel, ganze Gesellschaften transformieren zu wollen.
FRAGE: Wäre es nicht gescheiter, man würde endlich faire Handelsbedingungen schaffen?
ANTWORT: Es ist ein Skandal, dass es noch immer so viel Protektionismus gibt. Baumwolle zählt zu den seltenen Erfolgsgeschichten Afrikas. Doch den Baumwollproduzenten wird der vollständige Zugang zu den Märkten der reichen Länder verwehrt. Das ist heuchlerisch.
FRAGE: Was halten Sie von Helfern wie dem irischen Rocksänger Bono?
ANTWORT: Es ist nicht per se falsch, dass sich Prominente und Stars im Kampf gegen die Armut engagieren. Sie verhelfen der Sache zu Publizität. Leider scheinen solche Leute zu vereinfachten Lösungen zu neigen. Bono ist dem irrigen Ansatz von Jeffrey Sachs verfallen, immer mehr Hilfsgelder in die armen Länder zu pumpen.
FRAGE: Auch die meisten westlichen Regierungen sind davon überzeugt.
ANTWORT: Die Tragödie ist, dass die Entwicklungshilfe für alle funktioniert, außer für die Armen. Die Regierungen der reichen Länder können ihren Wählern sagen: Hier ist dieses furchtbare Problem, und wir versuchen es zu lösen. Dabei sind die Wähler nicht gut informiert. Entwicklungshilfe ist ein Wohlfühlprogramm. Und die Hilfsbürokratien wollen nicht zugeben, dass etwas falsch läuft. Sie sind am eigenen Überleben interessiert.
FRAGE: Weltbank und Währungsfonds haben neue Präsidenten. Wird sich etwas ändern?
ANTWORT: Beide suchen eine neue Rolle für ihre Institute. Seit vor allem Schwellenländer, aber auch arme Länder auf den Finanzmärkten Kredite bekommen, ist das Kerngeschäft von Weltbank und IWF, nämlich Kapital bereitzustellen, obsolet geworden. Ghana plazierte vor kurzem eine Anleihe über zwei Milliarden Dollar auf dem internationalen Kapitalmarkt. Das ist eine Ohrfeige für die Weltbank. Die Botschaft ist: "Wir haben die Nase voll von euren Bürokraten und Bedingungen, wir gehen jetzt auf den internationalen Finanzmarkt, obwohl wir einen höheren Zins zahlen müssen."
FRAGE: Sollten Weltbank und IWF abgeschafft werden?
ANTWORT: Ich bin kein Befürworter drastischer Maßnahmen. Ich würde sie schrumpfen. Der IWF sollte aufhören, den Oberhelfer Afrikas zu spielen, und zu seiner Rolle als Krisenmanager zurückkehren. Weil die aufstrebenden Märkte schon lange keine Krise mehr erlebten, hat der IWF Mühe, Arbeit zu finden. Das wird sich aber sicher wieder ändern. Gut möglich, dass die Hypothekenkrise auch die Entwicklungsländer erreichen wird. Dann hat der IWF wieder etwas zu tun.
FRAGE: Und was passiert mit der Weltbank?
ANTWORT: Die Weltbank ist nach wie vor die wichtigste Hilfsorganisation. Außerdem erachte ich die Hilfsagenturen der Vereinten Nationen für um einiges schlimmer.
FRAGE: China greift neuerdings Afrika kräftig unter die Arme. Im Tausch gegen Rohstoffe vergibt Peking großzügig Kredite und unterstützt Großprojekte - ohne Bedingungen. Finden Sie diese Entwicklung gut?
ANTWORT: Wettbewerb ist grundsätzlich gut. Die Inkompetenz und Arroganz offizieller westlicher Hilfsagenturen wird entlarvt, sie verlieren ihr Monopol. Auf der Suche nach Krediten und Hilfsgeldern haben die Entwicklungsländer plötzlich eine Alternative. Die Kehrseite ist allerdings, dass China auch Schurkenregierungen unter die Arme greift. Schurkenregierungen sollten überhaupt keine Hilfe bekommen.
FRAGE: Kritiker werfen Ihnen vor, Sie stellten die Dinge zu einfach dar. Wie sehen Ihre Vorschläge aus?
ANTWORT: Wenn wir die Arroganz und die utopischen Ambitionen ablegen, ganze Gesellschaften und politische Systeme anderer Länder ändern zu wollen, dann kann Entwicklungshilfe allein schon dadurch mehr Gutes tun, indem sie sich auf kleine Schritte konzentriert. Dabei probieren wir so viele Methoden aus, bis wir eine finden, die wirklich funktioniert, die Medikamente zu den Armen bringt, Nahrungszusätze zu unterernährten Säuglingen und Kinder in die Schule. Das ist der Sucher-Ansatz im Gegensatz zum Planer-Ansatz der Utopisten. Als zweites hätte ich gerne eine unabhängige Bewertung aller Hilfsanstrengungen.
FRAGE: Sie plädieren für mehr Markt. Sie möchten, dass die Armen als Kunden auftreten und selbst bestimmen können, welche Hilfe ihnen zuteil wird. Wie soll ein solches System funktionieren?
ANTWORT: Wir müssen den Armen zu einer Stimme verhelfen. Unabhängige Bewertungen müssen darauf basieren, was die Armen selbst über ein Hilfsprojekt denken. Vorstellbar sind auch radikalere Ansätze: Man könnte den Armen Gutscheine geben, die sie benutzen können, um sie bei einer von ihnen gewählten Organisation für ein Projekt einzulösen. Damit wären die Armen selbst für die Hilfe verantwortlich, die sie bekommen. Natürlich gibt es in einem solchen System auch Stolpersteine, aber wir sollten alles ausprobieren, um herauszufinden, was im Kampf gegen die Armut tatsächlich funktioniert.
FRAGE: Sie würden Aidspatienten in Afrika keine retroviralen Medikamente abgeben. Ein ziemlich hartherziger Ansatz.
ANTWORT: Es scheint mir sehr seltsam, bei einer nicht heilbaren Krankheit wie Aids alle Bemühung mehr oder weniger darauf auszurichten, dass der todkranke Patient ein bisschen länger lebt, statt zu versuchen, die Krankheit unter Kontrolle zu bekommen. Es kostet 2000 Dollar, um das Leben eines einzigen Aidspatienten in Afrika um ein Jahr zu verlängern. Mit der gleichen Summe können wir Hunderte von Menschen davor bewahren, dass sie sich anstecken.
FRAGE: Gerade darum hat doch Jeffrey Sachs recht, wenn er mehr Hilfsgelder fordert. Dann könnten wir Aidspatienten behandeln und Prävention betreiben.
ANTWORT: Es wird nie genug Geld geben, um nicht wählen zu müssen. Wir müssen Prioritäten setzen. Es gibt drei Milliarden Menschen auf dieser Welt, die mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen. Um ihnen den westlichen Lebensstandard zu ermöglichen, brauchten wir eine ungeheure Summe Geld, ganz abgesehen davon, dass wir nicht einmal wissen, wie wir das bewerkstelligen sollen. Die Bedürftigkeit ist grenzenlos. In dem Punkt ist Sachs am verlogensten. Er gaukelt vor, man könne alles haben, wir könnten alles tun. Das ist eine typische Antwort eines Politikers, der sich nicht entscheiden will. Das kommt aber bei den Wählern gut an.
Das Gespräch führte
Benedikt Rüttimann.Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 02.12.2007, Nr. 48 / Seite 8

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