Montag, 2. Juni 2008

Terror-Dämmerung

Terror-Dämmerung
Eine Studie kündigt vom Niedergang der „Gotteskrieger“ meint Josef Joffe

Wie geht es eigentlich dem Terrorismus? Gar nicht
so gut, meldet eine neue Studie der kanadischen
Simon-Fraser-Universität, und der sorgfältig untermauerte
Nachweis könnte, welch Ironie, Hardliner
wie Liberale erfreuen. Die Staatsschützer,
weil der global war on terror offensichtlich Früchte
trägt, und die Bürgerrechtler, weil diese 56 Seiten
unaufgeregte Argumente gegen die anschwellende
Flut der Sicherheitsgesetze liefern.
Ja, aber der islamistische Terror wächst doch,
oder? Im Westen schon mal nicht, nicht seit der
monströsen Attacke in London 2005; diesen
Punkt können die Staatsschützer für sich verbuchen
und dabei auf ihre weltweit vernetzte Polizeiund
Geheimdienstarbeit verweisen, die so manchen
Anschlag vereitelt hat. Und anderswo? Der
schärfste Anstieg wurde in Mittelost, und zwar seit
der Invasion des Iraks, gemessen. Das Jahr 2006
war das schlimmste, mit 13 343 Terror-Toten im
Zweistromland; das waren, je nach Datensatz, 64
oder gar 79 Prozent der weltweiten Opfer.
Doch dann die dramatische Wende von 2007:
ein Absturz von fast 70 Prozent bis Jahresende.
Auch hier dürfen die Anti-Terror-Krieger sich
rühmen. Ein kritischer Faktor war der surge, die
Verstärkung der US-Truppe im Irak, der zweite
die neue Offensiv-Strategie unter General Petraeus,
die erstmals dem Bevölkerungsschutz den Vorrang
gab. Der dritte war die segensreiche Umkehr
der Politik – das Ende der gnadenlosen »Entbaathifizierung
« und Ausgrenzung der Sunni-Minderheit,
die unter Saddam der Schia-Mehrheit das
Leben zur Hölle gemacht hatte.
Was Wunder, dass den Sunnis im Überlebenskampf
jeder Verbündete recht war, auch die Terror-
Brigaden der »Al-Qaida im Irak« (AQI). Nur:
Plötzlich bot sich Amerika als Schutzherr der Verdammten
an, der sich auch mit der Mahdi-Armee
der Schiiten anlegte. Warum Terror, wenn die
Amerikaner mit Sicherheit, Jobs und Pensionen
lockten? Das war der Anfang vom Ende der Sunni-
AQI-Allianz.
Doch der vierte, vielleicht entscheidende Faktor
war der Terror als des Terrors schlimmster
Feind. AQI, diese fremdbestimmte Sunni-Truppe,
folterte und ermordete inzwischen nicht nur »abtrünnige
« Schiiten, sondern auch die eigenen Leute.
2007 kam die Quittung. In einer Umfrage
nannten 100 (!) Prozent – Schiiten wie Sunniten
– den Terror gegen Zivilisten »unannehmbar«; 97
Prozent stellten sich gegen die importierten Killer.
Desgleichen in Afghanistan, wo nur ein Prozent
die Dschihadisten unterstützte.
Fazit der Studie: Je mehr Terror, desto weniger
Sympathisanten – »dieses Muster wiederholt sich
in einem muslimischen Land nach dem anderen«.
Und die Geschichte zeige, so die Autoren, dass
»Terror-Kampagnen, die den Rückhalt im Volk
verlieren, früher oder später aufgegeben oder bezwungen
werden«.
Unsere Staatsschützer sollten die Simon-Fraser-
Studie lesen (http://www.humansecuritybrief.
info/HSRP_Brief_2007.pdf), weil sie zu weniger
Angst und mehr Zuversicht rät. Und zwischen
den Zeilen zu weniger Schaffenslust beim Austüfteln
immer neuer Sicherheitsgesetze und Überwachungsapparate.

Die Zeit Nr 26 19. Juni 2008

Keine Kommentare: