...Tatsächlich erleben wir derzeit eine gegenläufige Umverteilung, und zwar eine von unten nach oben. Man denke nur an die 1,5 Milliarden Euro Zinsen, die dem Staat für seine Eigenkapitalhilfe an die Commerzbank entgangen sind. Oder an die – gebührenbereinigt – 2,8 Milliarden Euro Entschädigungszahlungen für die Aktionäre der Hypo-Real-Estate-Bank, die andernfalls keinen Cent für ihre Anteile gesehen hätten. Zu den Nutznießern der Rettungsmaßnahmen zählen die Anleger, also Leute, die ihr Geld »arbeiten lassen« – und diese gehören überwiegend zu den höheren Einkommensschichten. Seltsamerweise nimmt die Allianz der Leistungsträger keinerlei Anstoß daran, dass in solchen Fällen das Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt wird. Denn zu diesem Prinzip gehört ja nicht nur, dass man die Früchte seiner Arbeit ernten darf, sondern auch, dass man für die Folgen seiner Tätigkeit einstehen muss. Genau diese Verantwortungsübernahme wird durch die unverfroren praktizierte Regel »unbegrenzte Rendite, begrenzte Haftung« außer Kraft gesetzt. Mit einem Wort: Die neuen Theoretiker der Ungleichheit und die besorgten Beschützer der oberen Einkommensschichten wenden das Leistungsprinzip recht einseitig an. Auch identifizieren sie die Leistungsträger durch das Einkommen, das diese am Markt erzielen, womit sie auf fragwürdige Weise Markterfolg und Leistung gleich setzen. »Preise sind in einer Marktwirtschaft das Ergebnis von Knappheiten, nicht von Gerechtigkeitsüberlegungen«, behauptet denn auch Josef Ackermann, und das hieße: Die Preise für Arbeitskräfte, also die Arbeitseinkommen, haben mit Leistungsgerechtigkeit nichts zu tun.
So ganz lassen sich Einkommen und Leistung aber nicht trennen. Denn dass man überhaupt Zugang zum Markt hat, hängt schließlich auch von der eigenen Qualifikation ab – und die ist, zumindest teilweise, Folge der eigenen Leistung. Es ist nämlich die Bildung, die ein Band zwischen Leistung und Markterfolg knüpft. Doch dieses Band wirkt immer dünner und fadenscheiniger, denn es wächst der Anteil von Gutqualifizierten unter der wachsenden Zahl von Niedriglöhnern...
Ab in die Dienerschule.
Die Allianz der Leistungsträger träumt von einer neuen Gesellschaft, in der die Schwachen sich selbst überlasen bleiben
von Lutz Wingert, Professor für Philosophie an der ETH Zürich
DIE ZEIT Nr. 2 Seite 40 Feuilleton 7. Januar 2010
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