Sonntag, 4. September 2011

Vom Fußball lernen

Von Winand von Petersdorff

Während der revolutionäre Eifer der arbeitslosen Massen in Italien und in Spanien gemildert scheint durch Sonne, belebende Getränke und eine behütende Familie, die auch eine Zeit mit wenig Geld erträglich sein lässt, testeten in beiden Ländern ausgerechnet jene den Arbeitskampf, denen man unterstellen darf: Die Verdammten dieser Erde sind sie nicht. Die Profifußballer haben gestreikt. Sie stehen im dringenden Verdacht, zur finanziellen Oberschicht zu gehören. Doch viele von ihnen warten seit Wochen oder gar Monaten auf Bezahlung.


Viele ihrer Arbeitgeber, die Proficlubs in den Peripherieländern sind insolvent. Die Vereine schulden nicht nur ihren Spielern Geld. Sie stehen beim Staat, bei Krankenversicherungen und bei Banken mit gewaltigen Summen in der Kreide, die bei normalen Unternehmen niemals toleriert würden. Diesen würde der Hahn abgedreht, sie verschwänden schlicht und einfach, während die Vereine weiter munter undiszipliniert arbeiten und sogar neue Millioneneinkäufe tätigen dürfen, gelegentlich auch zu Lasten solide wirtschaftender Vereine. Tatsächlich ist vermutlich noch nie ein Profi-Fußballclub wegen Zahlungsunfähigkeit dauerhaft von der Bildfläche verschwunden.
Das Phänomen gibt es übrigens in ganz Europa und nicht nur in südeuropäischen Randstaaten: Bevor ein Traditionsname verschwindet, findet auch die deutsche Politik noch einen Weg, etwa indem sie öffentliche Unternehmen als Finanziers zwangsverpflichtet oder die Augen verschließt, wenn die Clubs Stadionmiete und andere Abgaben schuldig bleiben.
Der Grund für die nahezu unbegrenzte Toleranz gegenüber Sport-Missmanagement und mieser Zahlungsmoral ist die unglaubliche Beliebtheit, die der Fußball inzwischen erfährt. Wenn auch die Clubs keine volkswirtschaftlich fatalen Dominoeffekte auslösen bei ihrem Untergang, eine Pleite wäre noch nicht einmal eine Randn0tiz in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Aber niemand will schuld sein am Stich, der der Fußballanhängerschaft ins Herz fährt, raubt man ihr das Objekt der Leidenschaft.
Das wissen die Manager und Präsidenten dieser Vereine: Sie verfügen über großes Erpressungspotential, darin gleichen sie Banken. Ihre Systemrelevanz ist allerdings eine emotionale, was man bei Geldinstituten nicht unbedingt vermuten muss. Wenn also letztlich überall der Steuerzahler die schützende Hand über traditionsreiche Clubs hält, ist aber doch die Bereitschaft, institutionelle Arrangement zu verletzen, in Italien und Spanien stärker ausgeprägt als in nordeuropäischen Ländern. In Deutschland sorgt ein Lizenzierungsverfahren dafür, dass jeder Club seine Finanzen wenigstens einigermaßen in Ordnung halten muss. Wer die Auflagen nicht einhält, darf nicht mitspielen.
Allerdings bilden die nationalen wie auch die europäischen Clubs eine Art Schicksalsgemeinschaft. Die Vereine brauchen einander, um der Kundschaft jenes Produkt liefern zu können, das sie glücklich macht: das Spiel.
Damit das Produkt weiter geliefert werden kann, hat die Uefa jetzt ein Reglement ("financial fairplay") auf die Beine gestellt, welches die Vereine zu einer disziplinierten Haushaltsführung zwingt und Sonderzuwendungen von Scheichs oder dem Fiskus in Zukunft deutlich erschwert. Bei gravierender Pflichtverletzung können Vereine sogar von den lukrativen Wettbewerben ausgeschlossen werden.
Das kann ziemlich hart werden, besonders für wirtschaftlich unsolide Clubs. Und natürlich machen sich einige Sportmanager schon Gedanken, wie sie die Regel umgehen können. Ein Gedanke ist aber nicht aufgekommen: der einer europäischen Transferunion; der Gedanke, ein reicher deutscher Club könnte einen finanzschwachen Wettbewerber aus dem Süden finanzieren, um das System am Laufen zu halten.

Proficlubs haben emotionale 
Systemrelevanz. Deshalb hält man die Pleitiers am Leben.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.09.2011, Nr. 35 / Seite 32

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