Freitag, 30. November 2007

Edward Steichen im Jeu de Paume


In memoriam, 1904

Wurden Sie schon steichenisiert?Symbolismus, Sachlichkeit und Glamour: Mit einer fulminanten Ausstellung feiert das Jeu de Paume den Fotografen Edward Steichen als Jahrhundertfigur.
PARIS, Ende November
Zwei kurze Filme begleiten die große Edward-Steichen-Ausstellung im Jeu de Paume in Paris. Einer zeigt den Fotografen im Atelier, wie er, Mitte der dreißiger Jahre, über ein Heer von Assistenten mit einer Batterie von Scheinwerfern regiert und - nie ohne Zigarre in der Hand - der in schwarz gehüllten Tänzerin auf einem Podest Anweisungen für ihre Posen gibt. Der andere erzählt von einem Besuch bei ihm zu Hause, Mitte der Sechziger, und auch dort, nun sechsundachtzig Jahre alt, fotografiert er noch immer konzentriert und leidenschaftlich, wenn auch nur ein kleines Bäumchen im Garten. "Der Fotograf muss ein enges Verhältnis aufbauen zwischen sich und dem, was er fotografiert", erklärt er dabei dem Besucher mit ernstem Blick, "ganz egal, ob es sich um eine Dose Bohnen handelt, eine Landschaft oder Greta Garbo."
Edward Steichen (1879-1973) hat alles fotografiert: Landschaften, Stilleben und Mode, Starporträts, Kriegsbilder und Reklame. Mit vierhundert Abzügen wird die Ausstellung jedem Aspekt dieses schon verschwenderischen Ausstoßes an Werken gerecht; und während man der verwinkelten Museumsarchitektur durch die beiden riesigen Stockwerke des Hauses folgt, begreift man ganz allmählich, dass auch diese Retrospektive wie ein Film betrachtet werden will. Etliche ästhetische Mittel des Kinos werden hier genutzt, um etwa mit Schnitt und Gegenschnitt, mit vermeintlichen Kamerafahrten auf bestimme Motive zu und mit raffiniert sich verändernden Farb- und Beleuchtungseffekten die Ettappen eines Lebens nachzuerzählen, das zu den ganz großen Künstlerkarrieren des zwanzigsten Jahrhunderts zählt. Wie Texteinblendungen wirken die knappen Hinweise zu den vielen Brüchen im Werk, die mal mit politischen Umständen erklärt werden, vor allem den beiden Weltkriegen, mal wirtschaftlich - also durch die Auftraggeber. Was davon ganz offensichtlich stets unbeeinflusst blieb, ist die künstlerische Selbstsicherheit des Fotografen.
Von Anbeginn hatte Steichen selbst als Jugendlicher in Milwaukee seine Fotos mit energischem Schwung signiert. Nicht minder selbstbewusst besuchte er, kaum zwanzig Jahre alt, Stieglitz in New York oder Rodin in Paris, um fortan mit beiden eng zusammenzuarbeiten, mal in dieser, mal in jener Stadt zu leben und in den Zirkeln der Avantgarde ein und aus zu gehen. Vom Symbolismus und Jugendstil über die Neue Sachlichkeit bis zur Glamourfotografie wandelte er dabei mit geradezu erschreckender Leichtigkeit seinen Stil, war stets auf der Höhe der Zeit, und als er zum teuersten Fotografen der Welt wurde und sich die Prominenz in seinem Studio ihr Stelldichein gab, erfand man für seine Porträts sogar eine Vokabel und fragte einander: "Have you been steicheneized yet?"
Die Eleganz dieser Bilder ist unübertroffen; einerlei, ob Gloria Swanson geheimnisvoll durch einen Schleier schaut oder sich eine in Tuch gehüllte Martha Graham als Statue ihrer selbst aus dem Dunkel schält, geradeso wie zwanzig Jahre zuvor Rodins Balzac. Ein Moment des Traums schwebt über diesen Bildern, und man wundert sich nicht, dass Steichen auch den Surrealismus um etliche Bildideen erweitert hat. Als er gegen Ende seiner Karriere als Direktor für Fotografie am MoMA in New York arbeitete und von sechsundvierzig Ausstellungen nur eine einem einzelnen Fotografen widmete, sich selbst, machte er sich nicht nur Freunde. Heute, da erst jüngst eines seiner Fotos für zweieinhalb Millionen Dollar verkauft wurde, muss man seine Weitsicht kopfnickend zur Kenntnis nehmen. Freddy Langer
"Edward Steichen: Lives in Photography", Jeu de Paume, Paris; bis 30. Dezember; die Ausstellung ist anschließend im Musée de l'Elysée, Lausanne (17. Januar-23. März), im Palazzo Magnani, Reggio Emilia (12. April-8. Juni) und im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid (24. Juni-22. September) zu sehen. Obwohl es keine Station in Deutschland gibt, hat der Hatje Cantz Verlag eine deutsche, gebundene Ausgabe des hervorragenden Katalogs herausgegeben, 75 Euro.
Text: F.A.Z., 30.11.2007, Nr. 279 / Seite 39

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