Dr.-Ing. Friedrich Heisterkamp, Mühlheim-Ruhr, schreibt heute in einem Leserbrief:
Zu "Merkel: Die Welt hat über ihre Verhältnisse gelebt" (FAZ vom 31. Dezember): Die Bewohner der Favelas von Rio de Janero, der Slums von Lagos oder des ärmsten Staates der Welt, Bangladesch, und mit ihnen 85 Prozent der Weltbevölkerung würden sich verduzt die Augen reiben, wenn Frau Merkel ihnen erzählen würde, sie hätten über ihre Verhältnisse gelebt. In Wirklichkeit leben nur die westlichen Industrienationen seit einem Jahrhundert über ihre Verhältnisse, und das auf Kosten der rohstoffliefernden Entwicklungsländer. Das ist vor allem den Vereinigten Staaten glänzend gelungen, die sich der ganzen Welt als sogenannter sicherer Hafen angedient haben. Unter falscher Flagge haben sie so Güter, Dienstleistungen und Kapital aus der ganzen Welt wie ein Staubsauger aufgesogen und dafür bedrucktes Papier ausgegeben. Den Grundstein zu diesem Betrug legten die Vereinigten Staaten mit der einseitigen Aufkündigung des Abkommens von Bretton Woods 1971. Dort hatten sie 1944 versprochen, jeden Papier-Dollar, den sie drucken und ausgeben würden, jederzeit wieder in Gold einzutauschen.
Nach der Aufkündigung des Abkommens saßen die Gläubiger der Vereinigten Staaten auf bedrucktem Papier. Dann kam die Bankenkrise von 2008. Sie wurde ausgelöst durch das Platzen der ABS-Blase, wobei angesichts der bekannten Qualität amerikanischer Häuser der Begriff ABS - Asset Backed Securities - einer der üblichen substanzlosen Euphemismen amerikanischer Banker ist.
Angesichts dieser Entwicklung bleibt es das Geheimnis von Frau Merkel, warum sie die Welt tadelt, statt klare Worte für die wahren Schuldigen zu finden. Dabei steht einer der Schuldigen noch jetzt im Rampenlicht: Henry M. Paulson, der amtierende amerikanische Finanzminister, war 2006 Vorstandsvorsitzender (CEO) der Investmentbank Goldman Sachs und damit an führender Stelle verantwortlich für das Finanzdesaster, an dessen Lösung er jetzt mitarbeitet. Selten war das Wort vom Bock, den man zum Gärtner gemacht hat, so stimmig.
Frankfurter Allgemeine Zeitung Mittwoch, 21. Januar 2009 Nr 17 Seite 31
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