Drudenhax und Teufelsfratz
Ein Röcheln und rasseln, ein Scheppern und Schreien, ein höllisches Spektakel. Das ist sie, die andere, die dunkle Seite der bayerischen Art, schrecklich und schaurig. Ein lautstarkes Echo dieser geheimnisvollen Seelenlandschaft ist die Rauhnacht. In ihr vereinen sie sich, die Kräfte des Unterbewussten, die Mächte der Nacht.
Rauh- oder Rauchnächte, das war im Alpenraum früher die Zeit zwischen der Thomasnacht am 21. Dezember und dem Dreikönigstag am 6. Januar. Später wurde sie je nach Region erweitert oder auch eingeengt, zumal auf die Zeit zwischen Weihnachten und Heiligdreikönig. Der Begriff Rauh oder Rauch leitet sich vom ursprünglichen Wortsinn ab, von "rauch", das heißt haarig, behaart. Nicht von ungefähr werden heute noch Pelze auch Rauchwaren genannt. Pelze und Felle tragen seit alters her auch die Perchten, die besonders in den Rauhnächten umtreiben, da und dort werden sie auch Pelzer genannt. Einen doppelten Wortsinn bekam die Rauhnacht schließlich durch den Brauch, in diesen Nächten, vor allem an Dreikönig, Haus und Hof mit Weihrauch auszuräuchern, damit die bösen Geister keinen Einlass fanden.
Woher aber dieser Brauch, der sich ja in vielerlei Formen von der Schweiz bis Böhmen, von Südtirol bis zur Oberpfalz erhalten hat. Wer sich da auf die Spuren des Ursprungs macht, taucht ein in tiefe Seelenschichten, in das zweite ICH des Menschen.
Nun ist bekannt, dass das Christentum bei seinem Vordringen in die germansichen Länder sich mit alteingewurzelten Riten auseinander zusetzen hatte. Der Kernkonflikt war, dass das Christentum eine monotheistische Religion ist mit absolutem, alleinigen Heilsanspruch, also nur einen einzigen Gott verehrt, während für die germanischen Stämme und selbst noch für die römischen Kolonisatoren der frühen Jahre die ganze Welt beziehungsweise der Himmel von einer Vielzahl von Göttern beherrscht war, zumal von Naturgöttern.
Im Kampf um die Vorherrschaft über die Seelen obsiegte das Christentum nicht nur, weil es mit einem alleinigen Gott mehr Kraft, mehr Überzeugung durchsetzen könnte - nein, es nahm durchaus geschickt auch Aspekte der heidnischen Religion mit auf, besetzte auch deren Kultstätten.
Ein schönes Beispiel dafür ist das Kircherl von Seebruck am Chiemsee, dessen Grundmauern auf einen römischen Göttertempel verweisen, der hier einst stand. Überhaupt sind in derselben Gegend noch manche Wegkreuze zu finden, die auf heidnischen Gedenksteinen stehen.
Als Gott eine Frau war
Je weiter in die Berge, desto mehr solcher vom Christentum adaptierten Kultplätze gibt es. Der Tiroler Volkskundler Hans Hais hat in seinem überaus aufschlussreichen Buch "Mythos und Kult in den Alpen" Dutzende von bislang unbekannten Kultstätten und Opferplätzen mit Steinkreis und heiligen Quellen, mit heidnischen Wallfahrten zur Mutter Erde und Rutschsteinen zur Fruchtbarkeit aufgespürt. Ein besonders lesenswertes Kapitel darin heiß denn auch "Als Gott eine Frau war" ...
Dass der Urgott auch im Alpenraum eine Göttin war, ist inzwischen ebenso hinlänglich gesichert. Noch heute werden, zuletzt in Niederbayern, bei archäologischen Grabungen kleiner, dralle Figurinen entdeckt - keine Ebenbilder von Germanenfrauen sind das, sondern von Göttinen.
Die Münchner Ethnologin Luisa Francia, die durchaus auch als Hexe im modernen Sinne ("keine schwarze Magie", "sich besinnen auf seine eigene Kraft") bezeichnet werden darf, schlägt hier eine Brücke vom Alpenraum bis weit in den Kaukasus: Die Frau Percht und die Babuschka, das sind im europäischen Raum, die beiden einzigen Begriffe, die heute noch auf weibliche Gottheiten zurückweisen.
Und wer großes Glück hat, stößt in abseits gelegenen Bergbauernhöfen noch auf einen Herrgottswinkel, in dem unter dem Gekreuzigten eine mordsdicke Puppe aus Stroh oder Holz steht. Oft auch als Kinderspielzeug verwendet, erinnert sie dennoch an weibliche Gottheiten - schaut sie doch ähnlich wie kleine Statuetten afrikanischer Göttinen aus, nur nicht aus schwarzem Ebenholz, sondern hellem Weidenstamm. Nicht zuletzt ist die Urgöttin auch im Märchen verewigt, dort heißt sie Frau Holle.
Sie zählt zu den Lichtgestalten, die in der Zeit, da die Tage kürzer werden und die Nächte schrecklich lang, Zuversicht und Geborgenheit vermitteln soll. Die Perchta dagegen ist doppeldeutig, sowohl Sinnbild der Sünde, als auch der Sühne. Diese wechselnde Symbolik, hier die Frau Percht als die Böse, dort als die Gute, hat sich bis heute erhalten. In manchen Orten in Österreich, Bayern und der Schweiz geht in der dunklen Zeit die "Schiachpercht" um, in anderen wiederum die "Schönpercht". Finster, wild und zottelig die eine, hell und lieblich anzusehen die andere.
Dass nun ausgerechnet die Frau Percht gar nicht heidnischen, sondern rein christlichen Ursprungs sein soll, ein Symbol der Sünde und eigentlich nur ein paar Jahrhunderte alt, wie dies eine jüngere Forschungsarbeit glauben machen will - das scheint beinah unhistorisch und arg am Volksglauben vorbei.
Den Ängsten Herr werden
Wo doch die Kirche seit Menschengedenken diese Perchtenumtriebe alles andere als freudig stützt und schützt, wo doch alle Mummenschanzereien und Maskeraden, alle rituellen Derbheiten und Frechheiten von der Geistlichkeit wahrlich nicht begeistert begrüßt wurden. Und wo doch perchtenähnliche Umtriebe oder gar die Wilde Jagd - als Mythos oder zuweilen auch leibhaftig - lange schon vor der Christianisierung verbreitet waren. Als ob Menschen in der Zeit davor kein Seelenleben, kein Über-Ich gehabt hätten, keine Ängste und Alpträume - und keine Ahnung, wie man diesen mit Personifizierungen, mit Allegorien auch Herr werden kann.
Zumal in der finstersten Zeit des Jahres, die meist auch noch mit rauhem Wetter einhergeht, dachten sich unsere Ahnen die Welt von Unholden und Hexen beherrscht, die von Haus zu Haus schlichen, um Unheil zu stiften. Das erinnert stark an die germansiche Mythologie, in der Gott Wotan auf einem Schimmel zur Walstatt reitet, gefolgt von Kriegern, Schlachtjungfrauen, begleitet von Wölfen, Hunden, Katzen und fürchterlichem Sturm. Das ist sie, die Wilde Jagd.
Es ist ja kein Wunder, dass die Vorfahren auf solche Gedanken kommen konnten. Man muss sich nur einmal vorstellen, wie sie im tiefsten Winter in ihren Häusern und Hütten hockten, die Stuben nur vom Herdfeuer oder vom Kienspan erhellt, keine andere Unterhaltung und Tröstung als die eigene Gegenwart, umgeben vom Toben des Sturms und dem Wüten der Elemente, begleitet von Einsamkeit und Stille.
Natürlich besaßen die Alten Kenntnisse von den Vorgängen am Himmel und in der Natur, und das Verschwinden des Tageslichts, dem sie ja Gottgestalt gegeben hatten, beunruhigte sie sehr. Immer wieder von neuem musste deshalb die Wiederkehr der Sonne und die von ihr allein genährte Fruchtbarkeit und Lebendigkeit der Erde beschworen werden. Fruchtbarkeit ist hier nicht nur als Kindersegen und damit als Vorsorge fürs Alter zu verstehen, sondern ganz elementar das Wachsen in Feld und Flur, das Gedeihen von Vieh, Getreide und Früchten, das heißt die Sorge um das tägliche Brot.
Dieser Winter- und Dunkelheitsangst, die die heutigen Menschen dank des elektrischen Stroms einfach gar nicht mehr so empfinden können, ließ die Vorfahren überall unheimliches Volk und drohende Wesen sehen.
Kinder d´Luz geht um
Da ist die Luz, auch sie wieder in zweierlei Gestalt, einmal die Heilige Luzia, einmal als furchterregender Kinderschreck. Vor drei, vier Generationen noch glaubten Dorfkinder, wenn sie am 13. Dezember, dem Tag der Luzia, etwas Weißes huschen sahen, das war ganz bestimmt die Luz gewesen. Wenn sie nicht einschlafen wollten, mahnte die Mutter "d`Luz geht um", dann verschloffen sie sich in ihr Federnest. Mit einem Korb am Arm, aus dem ein hölzernes Messer ragte, hinkte die Luz von Haus zu Haus auf der Suche nach Kindern, die in der Dunkelheit noch auf der Gasse waren. Sie schnitt ihnen, so will es der Volksglauben, mit ihrem Messer den Bauch auf.
"An Luzier geht der Tag irr", weil er, im alten Kalender auf den 23. Dezember fallend, die längste Nacht erreicht, diese Nachtlänge eine Zeitlang stehen bleibt. In dieser Nacht treibt alles Unheimliche auf Teufel komm raus sein Unwesen, sie galt von jeher als die unheilvollste, als Hexen- und Drudennacht aller ersten Ranges, wie der Hilferuf an die Heilige Luzia besagt: "Vorn Drudndrucka, vor Hexenhaxn - vorn Teifisbratn und Zauberfaxn - beschützt mi du, heilige Luz - bis i morgn Früah aufsteh".
Von gewissen Weibspersonen
Wer oder was die Drud oder Trud ist, das beschäftigte auch den großen bayerischen Sprachforscher Andreas Schmeller. In seinem unereichtem Bayerischen Wörterbuch aus dem Jahr 1872 schreibt er über die Trud: "Nach dem Wahn des großen Haufens: eine jene Art Hexen oder Unholdinnen, deren besondere Liebhaberei es ist, sich schlafenden Personen in allerlei furchtbaren Gestalten recht breit und schwer auf die Brust zu setzen und ihnen die ängstlichen Empfindungen zu verursachen, die man anderswo den Alp oder das Alpdrücken nennt. Dieser an sich gleichgültige Wahn hatte früher das Bedenkliche, dass der gemeine Mann nicht selten bestimmte, besonders ältere Weibspersonen aus seiner Gegend für Truden zu halten und als solche anzufeinden beliebte.
Und im Deutschen Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm heißt es: "Trud bezeichnet ein gespenstisches Wesen, gewöhnlich ein Nachtgespenst, das das Alpdrücken verursacht." Um nun die Drud von der Liegestatt abzuwehren, zeichnete man mit geweihter Kreide auf das Brett am Fußende der Bettstatt einen Drudnhax, das fünfeckige Pentagramm, steckte außerdem in den aufgezeichneten Drudenfuß ein feststehendes Messer, denn Eisen wehrt die bösen Geister ab. Den Drudnhax in Gestalt von geflochtenen Zweigen sieht man zuweilen noch immer überm Eingang zu Almhütten. Und alte Bauersleut schaun heut noch drauf, dass in der Nacht zum 24. Dezember alle Besen mit dem Stiel nach unten im Türeck stehen - damit die Drud und mit ihr alle bösen Geister in den Kehrreisern hängen bleiben.
Es ist nun bezeichnend und geradezu ein Grundkurs in Tiefenpsychologie, wie sich die Altvorderen gegen die Heerschar böser Geister wehrten, obwohl sie doch noch keine Feiung durch eine Christliche Erlösungsreligion hatten. Sie versuchten, die Hexen gleichsam zu verhexen, die Unholde durch noch mehr Unholdsein zu beeindrucken. Den Teufel mit dem Belzebub austreiben - diese Sentenz hat hier ihre Wurzeln.
Also noch wilder als die Wilde Jagd, noch schrecklicher als das ganze Getöse und Geheule am Nachthimmel - in diesem Bestreben entwickelten sich die furcheinflössenden Masken der Perchtenläufer in den Rauhnächten, denen man im Voralpenland wie in den tiefsten Bergdörfern noch immer begegnen kann und denen selbst die christliche Religion nicht den Garaus machen konnte, sie allenfalls überlagert hat.
Das stärkt den aufrechten Gang
In uralter Zeit war das Auftreten der Perchten, dieser menschlichen Projektion übermenschlicher Mächte, etwas sehr Ernstes und Wichtiges: Vermummte Menschen konnten sich also nicht nur vor ihresgleichen verbergen, sondern auch vor den Geistern, konnten sie mit grauenhaften Fratzen und wildem Fell, mit viel Getöse und Katzenmusik gleichsam zur Hölle jagen. Besser ließ sich das Böse nicht bannen, waren Ängste nicht zu bewältigen, Alpträume nicht zu verarbeiten. So sind die Rauhnächte auch eine Reise ins Unterbewusste, ein Spiegel der Seele.
Kurzum, es ist dies ein ziemlich sinnvolles Brauchtum. Also Brauch in seinem Wortsinne: es brauchen, es nötig haben. Das vor allem, um eines zu stärken - das Selbstbewusstsein, den aufrechten Gang.
Max Königsdorfer
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