Traumatische Erfahrungen müssen die Franken durchleiden, wenn sie zur Nürnberger Kaiserburg hochblicken. Munter flattern dort im Wind die bayerische und die deutsche Flagge - aber nicht die Frankenfahne mit dem rot-weißen Rechen. Und das, obwohl die Bayerische Staatsregierung doch mittlerweile fest in fränkischer Hand ist, angefangen vom Ministerpräsidenten Beckstein über den Innenminister Herrmann bis zur ewigen Nachwuchshoffnung der CSU, dem Europaminister Söder. Fränkische Heißsporne ziehen schon Traditionslinien vom Kurfürsten Max IV. Joseph, dem späteren bayerischen König, unter dessen Herrschaft fast ganz Franken an Bayern fiel, zur Besetzung Tibets durch China.
Angefangen hat der Fahnenstreit mit einem Beschluss des bayerischen Kabinetts, das eine Dauerbeflaggung für staatliche Gebäude anordnete. Rechtzeitig vor der Landtagswahl am 28. September sollte die Identifizierung der Bürger mit dem eigenen Land auch visuell gestärkt werden - durch dauerhaftes Hissen der bayerischen Staatsflagge, der Bundesflagge und möglichst auch der Europaflagge vor den Ministerien und anderen öffentlichen Bauten. Die Bayern seien deutsche Patrioten, aber auch stolz auf ihre Landesfarben, verkündete Innenminister Herrmann. Wirtschaftliche Rigoristen machten sogleich eine kleinteilige Rechnung auf, was die permanente Flaggenpracht kosten werde; aber die Staatsregierung ließ sich nicht beirren: "Bayern zeigt Flagge."
Wie ernst es ihr damit ist, zeigt sich jetzt gegenüber den verstörten Nürnbergern, die ihre Kaiserburg nach den fränkischen Farben absuchen. Selbstverständlich spreche nichts dagegen, dort auch die rot-weiße Fahne der Stadt Nürnberg zu hissen, versichert Herrmann; das Stadtwappen mit dem halben Reichsadler stehe in besonderer Weise für Nürnberg und die Kaiserburg. Ganz sicher ist damit allerdings noch nicht, wie künftig das Fahnenarrangement auf der Burg ausfallen wird; zumindest wird kolportiert, in der Vergangenheit sei auf das Aufziehen der Europaflagge verzichtet worden, weil Turmfalken nicht ungebührlich aufgescheucht werden sollten. Auch Turmfalken können schließlich identitätsstiftend sein.
ALBERT SCHÄFFER
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.08.2008, Nr. 202, S. 2
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